Dr. Verena Utikal
Behavioral Economics

Entscheidungen treffen – und nichts geschieht: Wie Sie den Intention-Action-Gap vermeiden (6. Juli 2020)

Jeden Tag Sport treiben, mit dem Rauchen aufhören, effizientere Meetings abhalten: Kennen Sie das? Sie wollen etwas, tun es aber nicht. Hier erfahren Sie die Ursachen für diesen Intention-Action-Gap und wie Sie die 5 häufigsten Fehler reduzieren können. 

Wir haben eine klare Absicht, handeln aber nicht entsprechend. Diese Diskrepanz hat in der Verhaltensökonomik den Namen „Intention-Action-Gap“. Wenn Sie das nächste Mal mit einer solchen Differenz zwischen Absicht und Verhalten konfrontiert sind, dann stellen Sie sich mal folgende Frage: „Was hindert mich?“ oder „Was hindert meine Mitarbeiter?“

Wenn Sie nach den verantwortlichen Hindernissen forschen, werden Sie vermutlich feststellen, dass sie häufig durch falsch angewandte Heuristiken oder systematische Fehler zu Stande kommen. Systematische Fehler sind nicht nur teuer, sondern stehen uns auch oft im Weg, wenn wir uns Veränderung wünschen – sei es bei uns selbst oder bei unseren Mitarbeitern.

Die verhaltensökonomische Forschung zeigt, dass die fünf folgenden Verhaltensmuster besonders relevant sind für den Intention-Action-Gap.

Kognitive Überlastung

Was ist das Problem?

Gerade in Stressphasen sind wir besonders anfällig für Vereinfachungen. Unser Gehirn ist bereits komplett ausgelastet - da bleibt einfach keine Kapazität mehr für langwierige Überlegungen. Wenn es dann noch kompliziert wird, greifen wir sehr gerne auf das zurück, was wir kennen: Perfekt für die Anwendung der Heuristiken „Wiederholung“ und „Wiedererkennung“.

Was können Sie tun?

Holen Sie Ihre Mitarbeiter aus der „Ich mache es so wie immer“-Falle. Vereinfachen Sie die Entscheidung. Setzen Sie Standards. Verwenden Sie eine einfache Sprache!

Gruppendynamik

Was ist das Problem?

Bedenken Sie, dass Menschen gern nachahmen, was sie bei anderen beobachten. Neue Regelungen einzuführen ohne Vorbilder, die sie vorleben, ist ein zum Scheitern verurteiltes Projekt. 

Was können Sie tun?

Nutzen Sie die Erkenntnis, dass Menschen gerne Teil einer Gruppe sind. Etablieren Sie Vorbilder.

Falsches Selbstbild

Was ist das Problem?

Durch selektive Wahrnehmung sehen wir stets, was wir sehen wollen. Auch wenn unsere Grundannahme falsch ist, kann es dadurch passieren, dass wir trotzdem nicht davon abweichen, und nur Evidenz sammeln, die zu unserer Behauptung passt.

Was können Sie tun?

Egal ob Over- confidence oder Under-confidence: Menschen brauchen Feedback. Ohne Rückmeldung bleiben sie in ihrem falschen Selbstbild gefangen. Manchmal ist auch ein Blick von außen notwendig, um Routinen zu durchbrechen. Bauen Sie Kontrollen und Checks ein. Definieren Sie gemeinsame Ziele und kontrollieren Sie diese. 

Verlustängste

Was ist das Problem?

Unser Bedürfnis Verluste zu vermeiden, geht oft so weit, dass wir mögliche Gewinne gar nicht erst wahrnehmen - aus lauter Angst dadurch etwas zu verlieren. Dies ist ein weiterer Grund, warum wir sehr an uns bekannten Prozessen hängen. Gewohnheiten aufzugeben wird häufig mit Verlusten verbunden: Wir verlieren etwas bekanntes und müssen uns auf etwas neues unbekanntes einstellen.

Was können Sie tun?

Nutzen Sie Anreize. Zeigen Sie auf, was an der Veränderung positiv ist. Verschieben Sie den Fokus von Verlust auf Gewinn.

Fehlende Selbstkontrolle

Was ist das Problem?

Unser starker Fokus auf die Gegenwart führt zu einer Überbewertung aktueller Belohnungen. Was wir sofort haben können, löst einen unwiderstehlichen Reiz aus – im Vergleich zu Belohnungen, auf die wir warten müssen. Verfügbaren Belohnungen zu widerstehen fällt Menschen sehr schwer. Wir wählen gerne die einfachste Option.

Was können Sie tun?

Wenn Sie Verhalten hemmen wollen, gestalten Sie es schwerer. Entfernen Sie Verlockungen. Und umgekehrt: Machen Sie es den Kolleginnen und Kollegen so einfach wie möglich, in die gewünschte Richtung zu gehen. Berücksichtigen Sie dabei den Gegenwarts-Fokus, und versuchen Sie die Zukunft stärker zu betonen. 


Rückschaufehler macht nicht nur Trump (2. April 2020)

Gibt es auch als ntv-Podcast

In diesen Tagen gilt tatsächlich der Satz: „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“. Regelungen vom Vortag sind schon heute nicht mehr aktuell, täglich gibt es neue Entscheidungen zu treffen. Besonders in der Pflicht, Entscheidungen zu treffen, stehen Unternehmensführer und Politiker. Diese Menschen sind zwar gewohnt, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen – also Maßnahmen anzuordnen, wenn nicht alle Risiken und Optionen bekannt und Ergebnisse vorhersehbar sind. Trotzdem ist die aktuelle Corona Situation für die meisten eine ganz neue Herausforderung. Denn es geht nicht nur um Menschenleben. Erschwerend hinzu kommt der Zeitdruck: das Gefühl, sofort entscheiden zu müssen.

Für Entscheidungsträger, die gewohnt sind, die Zeit zu haben, sich mit genug Informationen, Daten und Analysen zu versorgen, um vorausschauend zu handeln und wohlbedachte Entscheidungen zu treffen, ist diese Situation besonders schwierig. Denn aktuell kann man nur auf Sicht fahren. Die dürftige Informationslage zwingt selbst kognitive Entscheidungstypen dazu, ihr Bauchgefühl zu aktivieren und intuitiv zu entscheiden. Selbst Experten wissen vieles einfach noch nicht. Den Politikern, die sich von Experten beraten lassen, geht es deshalb nicht anders. 

Bei Entscheidungen, bei denen man sich auf seinen Bauch verlassen muss, kann einiges schief gehen. Bei Bauchentschei-dungen werden wir oft – ohne es zu merken – manipuliert. Unser Unterbewusstsein, das unser Bauchgefühl hervorruft, verwendet Heuristiken. Das sind einfache Regeln wie zum Beispiel: Mach es so wie beim letzten Mal oder Mach es den anderen nach. Diese Heuristiken sparen eine Menge kognitiver Energie und funktionieren häufig erstaunlich gut. Die Intelligenz des Bauchgefühls liegt darin, wie gut die passende Heuristik für eine Entscheidungssituation ausgewählt wird. Es kann aber auch schief gehen. Interessanterweise geht es oft nicht einfach „irgendwie und zufällig schief“, sondern systematisch. Das heißt, wenn Menschen an diesem Punkt Fehler machen, dann alle den gleichen. 

Hier kommt ein typisches Gedankenexperiment, bei dem man das sehr anschaulich erklären kann: 

Ein Ball und ein Baseballschläger kosten zusammen 1,10 Euro. Der Schläger kostet 1 Euro mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?

Viele Menschen beantworten diese Frage richtig mit „Der Ball kostet 5 Cent“. Menschen, die diese Frage falsch beantworten geben erstaunlicherweise meist die gleiche falsche Antwort. Es ist nicht so, dass eine Gruppe als Antwort 3 Cent angibt und eine andere 12, sondern die überwältigende Mehrheit sagt: „10 Cent“. Auch die meisten Menschen, die korrekt antworten haben meist die 10 Cent kurz als Antwort in Erwägung gezogen, aber dann verworfen und weiterüberlegt. Aber „10 Cent“ ist eine verlockende Antwort, sie erscheint uns so intuitiv. Warum ist das so? Das liegt an den eben gerade erwähnten Heuristiken. In dieser Situation wenden Menschen eine bestimmte Heuristik systematisch falsch an. Die Heuristik lautet: „Löse stattdessen ein einfacheres Problem“. Die Aufgabe, die die Befragten daher stattdessen lösen, lautet: 

Ein Ball und ein Baseballschläger kosten zusammen 1,10 Euro. Der Schläger kostet 1 Euro. Wie viel kostet der Ball? 

Sie unterschlagen Information aus der Aufgabe und machen sich die Aufgabe leichter. So sparen sie Energie – landen aber beim falschen Ergebnis. Uns gefällt dieses Beispiel sehr gut, denn es illustriert, dass Menschen häufig keine zufälligen Fehler machen, sondern systematische.

Ein systematischer Fehler, der aktuell sehr prominent bei Politikern wie Donald Trump, aber auch bei anderen Akteuren beobachtet werden kann, ist der sogenannte Rückschaufehler. Er spielt insbesondere bei der Zuweisung von Schuld und Verantwortung in vielen gesellschaftlichen, aber auch in privaten Bereichen eine Rolle. 

Trump hatte noch am 22. Januar behauptet: „We have it totally under control“. Dann am 27. Februar versprach er „It’s going to disappear. One day — it’s like a miracle — it will disappear”. Und plötzlich, nachdem die WHO die aktuelle Situation zur Pandemie erklärt hatte, sagte Trump am 17. März: “This is a pandemic. I felt it was a pandemic long before it was called a pandemic”.

In der Rückschau wusste Trump also sogar vor der WHO, dass dieser Virus eine Pandemie auslösen würde. Auch, wenn Trump ein besonders anschauliches Beispiel für diesen Fehler geliefert hat, und Sie jetzt denken, das würde Ihnen nie passieren, seien Sie gewarnt: Sie sind davon sicher auch schon betroffen gewesen. Die meisten von uns sind Experten wenn es um Dinge geht, die bereits passiert sind. Wenn Sie nach einer Trennung im Freundeskreis behaupten: „Das war klar. Die haben überhaupt nicht zusammengepasst“. Oder auch, wenn Sie schon einmal gesagt haben: „das habe ich schon immer gewusst“, könnte das ein Indiz für den Rückschaufehler sein.

In der Forschung ist er sehr leicht messbar. Dafür wenden Forscher normalerweise ein Setup wie dieses an: Zum Beispiel fragen sie eine Gruppe von Menschen, wie viel Prozent die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl bekommen werden. Direkt nach der Wahl und mit dem Wissen der bekannt gegebenen Wahlergebnisse, befragen sie die Teilnehmer wieder. Diesmal sollen sie sich an ihre Einschätzung vom letzten Mal erinnern. Man sieht, dass sie ihre Schätzungen in der Regel an das nun bekannte Ergebnis anpassen. Und das sogar, wenn sie bei einer richtigen Erinnerung einen Preis bekommen würden. Warum ist das so?

Zwei Mechanismen kommen in Frage: 

Nummer 1: Menschen haben gerne Recht. Es fühlt sich einfach gut an die richtige Antwort zu kennen, und dieses Bedürfnis überlagert sogar den Wunsch nach dem Preis.

Nummer 2: Unser Gehirn hat die alte, falsche Information überschrieben und wir können uns tatsächlich nicht mehr an unsere ursprüngliche Meinung erinnern. Dass unsere Erinnerung tatsächlich nicht die beste ist, zeigen auch andere Studien. Sogar bei so genannten Spotlight-Erinnerungen, also bei Erinnerungen, von denen wir glauben sie wären für immer eingebrannt, spielt uns unser Gedächtnis möglicherweise einen Streich.

So eine Spotlight-Erinnerung ist für Viele, wie sie den 11. September 2001 verbracht haben. Direkt nach dem Terroranschlag haben Forscher Menschen interviewt, wie sie diesen Tag erlebt haben, und baten sie handschriftlich zu notieren, was genau sie gemacht hatten. Einige Jahre später besuchten sie die Teilnehmer wieder und baten sie nochmal die Erlebnisse handschriftlich aufzuschreiben. Anschließend verglichen sie mit den Teilnehmern die Erinnerungen. Nur noch knapp die Hälfte der Fakten stimmte überein. Die Teilnehmer waren natürlich überrascht, und vermuteten Fälschung. Sie erkannten ihre Handschrift, aber waren sich sicher, dass die aktuelle Erinnerung die richtige wäre.

Zurück zum Rückschaufehler: Wir tendieren also dazu, uns an alte Meinungen und Überzeugungen nicht mehr zu erinnern. Ist das denn ein Problem? 

Ja, denn so können wir nicht aus unseren Fehlern lernen. Wenn wir aber genau das wollen, gibt es drei Möglichkeiten zur Bekämpfung: Erstens, den Rückschaufehler als Problem anzuerkennen. Leider reicht es nicht, ihn zu kennen um ihn zu vermeiden. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die den Rückschaufehler kennen, genauso häufig darunter leiden wie andere, uninformierte Menschen. Kennen alleine reicht also nicht, aber Selbst-Reflexion ist ein guter nächster Schritt. Es hilft, sich aktiv in die frühere Situation hineinzuversetzen, sich bewusst zu machen, welche Informationen man damals hatte und wie die Umstände waren. So kann man versuchen nochmal zu durchleben, wie man sich damals seine Meinung gebildet hat. Auch hilfreich ist es ein Tagebuch zu führen und so frühere Gedanken, Meinungen und Entscheidungen schwarz auf weiß und fälschungssicher zu bewahren.

Versuchen Sie es doch einmal! Wenn Sie in ein paar Wochen zurückschauen und die Entscheidungen der Politiker bewerten, dann denken Sie vielleicht anders darüber. 

Verena Utikal & Team

Gibt es auch als ntv-Podcast



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